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Johann Michaelis (1930-2013)

Johann Michaelis (1930-2013)

Geschrieben von Paulina Micheilis aus Stadthagen am .

Mein Vater wurde am 13.01.1930 im Dorf Krasnowka, Gebiet Burla in Sibirien geboren und hatte 8 Geschwister. Sein Vater, Jacob, starb 1936 und seine Mutter, Alwina, blieb mit den Kindern allein. Sie konnte leider nicht mit der Unterstützung der Familie Michaelis rechnen, weil sie in den Jahren 1937-38 von der NKWD fast völlig vernichtet wurde.


Johann Michaelis (1930-2013)
Johann Michaelis (1930-2013)

Deportiert, repatriiert oder repressiert von:
Dorf Krasnowka, Burla Kreis

Deportiert, repatriiert oder repressiert nach:
Dorf Krasnowka, Burla Kreis, Altaj Region


Auszeichnungen
Auszeichnungen von Johann Michaelis (1930-2013)

Als der zweite Weltkrieg begann, verschlechterte sich die Lage der Familie, obwohl die Altaj-Deutschen nicht deportiert wurden und nicht unter der Aufsicht der Kommandantur standen. Die älteren Brüder von Johann, Jacob und Heinrich, vertrieb man in ein Arbeitslager („Trudarmee“). Die Familie hungerte und als der 14-jährige Bruder Alexander bei dem Versuch erwischt wurde, ein Pfund Weizen aus der Kolchose zu stehlen, wurde er dafür nach dem „Gesetz von drei Ehren“ zu drei Jahren Lager verurteilt.

Mein Vater wurde mit 12-13 Jahren zum Mann im Hause. Die Familie hatte oft gehungert. Von der Schule gab es keine Rede, er musste in der Kolchose wie ein Erwachsener arbeiten. Nach der Arbeit ging er mit jüngeren Geschwistern auf die abgeernteten Felder und sammelte alles, was essbar war, seien es Körner, Kräuter oder Kartoffelknollen. Selbst die Gemüseschalen wurden gekocht und gegessen. Mein Vater hatte Fallen in der Steppe aufgestellt und Ziesel (Erdhörnchen) gefangen und das Fleisch und Fett wurde in der Küche verwendet. Da diese Tiere als Schädlinge galten, hatte keiner von den Sowjets etwas dagegen.

Mein Vatter hat die Familie vor der Hungerstod gerettet. Der Preis dafür war, dass seine Schulzeit nach nur vier Klassen zu Ende war. Auch für die jüngeren Geschwister war der Schulbesuch ein Problem, da es keine Kleidung gab: Nur ein Oberteil und eine Hose für die Familie. Ein Bruder kam von der Schule nach Hause, zog seine Kleidung aus und reichte sie an den nächsten weiter. Auch die Jüngeren brachen die Schule mit 12 Jahren ab und gingen arbeiten, um überleben zu können.

In den jungen Jahren des Berufsweges hatte mein Vater die Qualifikation des Mechanisators erworben. Er wurde in den 50er Jahren mit Traktor DT 54 nach Kasachstan zur Erschließung des „Neulandes“ geschickt: Die Steppe wurde zu Kornfeldern umgewandelt. Mein Vater war immer sehr fleißig gewesen, für den Einsatz in Kasachstan, wo er mit den anderen Tag und Nacht arbeitete, bekam er eine Medaille „Für die Erschließung des Neulandes“.

1951 heirateten meine Eltern. Die erste Zeit war schwer: Sie hatten ein Haus aus Lehmziegeln und Schilf gebaut und am Anfang auf Strohmatratzen geschlafen. Doch sie verloren nie die Lebensfreude.

Mein Vater liebte die Musik sehr. Erst hatte er Balalajka gespielt und dann schaffte er sich eine Ziehharmonika an und brachte sich das Spielen selbst bei. Meine Eltern hatten sich gut in der Nachbarschaft eingelebt. Wenn sie ein Schwein schlachteten, wurde gegenseitig geholfen. Dann zusammen Pelmeni (Maultaschen) aus Fleisch gemacht und Hauswurst aus Fleisch und Leberwurst eingekocht. Bei dieser Beschäftigung mit unseren Nachbarn wurde oft gesungen. Meine Mutter hatte eine sehr gute Stimme, sie sang russische Lieder wie: Kalinka, Podmoskownie Weschera, Oj, Moros Moros. Mein Vater spielte gerne das deutsche Lied „Susanna“, Hopsapolka und sang auch selbst. Da er der Einzige im Dorf war, der Harmonika spielen konnte, wurde er oft zu Hochzeiten eingeladen, um dort zu spielen.

Im März 1965 zogen wir nach Kirgisistan um, kauften dort ein altes Haus und bauten alles um. Mein Vater arbeitete in der Kolchose als Traktorist. Später baute er ein neues Haus aus Betonblöcken. Alles hatte er selbst gemacht: Die Wände gemauert und die Holzarbeiten übernommen, die Böden verlegt und die Fenster eingesetzt. Später hatte er in einem Betrieb gearbeitet, auch auf dem kleinen Traktor. Für seine gute Arbeit hatte er mehrere Medaillen und Prämien erhalten.

Als er 56 alt war, hatte er einen Schlaganfall und wurde sehr hart getroffen. Die Hälfte des Körpers funktionierte nicht und er konnte nicht mehr sprechen, aber wir kämpften zusammen: Nach langer Therapie konnte er wieder laufen und sprechen, sogar wieder Harmonika spielen. 1993 kamen wir nach Deutschland. Gesundheitlich ging es meinem Vater zu dieser Zeit nicht gut. Gleich nach unserem Ankommen in Deutschland, hatte er ein Herzinfarkt und im Jahre 2007 sogar zwei Schlaganfälle. Ich habe ihn gepflegt. 2013 erlitt er wieder einen Schlaganfall, von dem er sich nicht mehr erholte.




Paulina Micheilis

mit Fotos von Vater Johann und Mutter Emilia

Paulina Micheilis




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