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Nina Sophie Hinsch mit Foto von Opa Heinrich Werle

Heinrich Werle (1924-2007)

Geschrieben von Nina Sophie Hinsch aus Kellinghusen am .

Mein Opa Heinrich wohnte vor dem Krieg in einem deutschen Dorf Rosental (heute Republik Kalmykien, Nord Kaukasus, Russland) und ist auf eine deutsche Schule gegangen, doch 1938 wurde Russisch zur Unterrichtssprache. Obwohl Heinrich gut Russisch sprach, fiel es ihm sehr schwer die neuen russischen Lehrer zu verstehen und dem Unterricht zu folgen. Deswegen brach er die Schule mit 15 Jahren ab und entschied sich zu arbeiten. Das bereute er im Nachhinein sehr oft. Gleichzeitig retteten die Russischkenntnisse ihm später das Leben.


Heinrich Werle, 1924-2007
Heinrich Werle, 1924-2007

Deportiert, repatriiert oder repressiert von:
Dorf Rosental, Kalmykien (Nord Kaukasus)

Deportiert, repatriiert oder repressiert nach:
Dorf Mnogozwetnoe, Gebiet Nord-Kasachstan

Im November 1941, nur drei Wochen nach seinem 17. Geburtstag, wurde er mit seinen Eltern und Geschwistern nach Kasachstan deportiert. Eben weil er ein Deutscher war. Kurz nach der Ankunft im Gebiet Nord-Kasachstan, wurden alle Männer von ihren Familien getrennt und in Arbeitslager geschickt. Heinrich kam mit seinem Vater am 6. Februar 1942 in ein Lager in Tschelabinsk an. Es war Winter, bis zu -40 Grad kalt und die Männer mussten für sich Baracken bauen. Danach ging es zum Bau der Fundamente für spätere Hochofen und Stahlproduktion. Es fehlte ihnen an allem: Zu wenig Essen, statt Betten dreistöckige Pritschen ohne Bettwäsche, furchtbare Sanitäranlagen. Aber am schwersten war für Heinrich die Kälte und die unerfüllbare Arbeitsnorm: Jeder Mann musste bestimme Mengen an Erde mit Spaten und Spitzhacken aus Gräben befördern. Wenn die Norm nicht erfüllt wurde, wurde die ohnehin minimale Essensration erheblich gekürzt.

Mein Opa war kleiner als ich heute, nur 154 cm groß und sehr dünn, ohne Hilfe von seinem Vater Gustav hätte er den ersten Winter vielleicht nicht überlebt.

Nach drei Monaten des Lageraufenthalts wurden die Häftlinge am 1.Mai 1942 das erste Mal gewaschen, rasiert und kahlgeschoren. Da deren Kleidung, in der sie von Zuhause kamen, völlig verdreckt, verlaust und zerrissen war, bekamen sie die aussortierten Uniformen der Rotarmisten von der Front. Manche Hemden hatten Löcher von Splittern oder Kugeln und bei einigen Hemden konnte man selbst nach dem Waschen noch Blutflecken sehen. Doch Heinrich freute sich selbst über diese Kleidung, auch wenn sie nicht neu war, aber Hauptsache sie war gewaschen.

Im Winter 1942/43 kam es bei Waldarbeiten zum Erfrieren Heinrichs Füße, es drohte ihm eine Blutvergiftung. Da der 18-jährige, wie ein Kind aussah, hatte einer der Schreiber in der Lagerverwaltung Erbarmen mit ihm und schickte ihn in ein Lazarett (Krankenhaus), wo er versorgt wurde. Statt danach Bäume im Wald zu fällen, sollte Heinrich sich in der Schreibstube melden. Da wurde er gefragt, ob er Russisch verstehe und schreiben könne. Als Heinrich dies bestätigte, bekam er die Aufgabe etliche Papiere abzuschreiben. Außerdem bekam er immer wieder in der Schreibstube etwas Zusätzliches zu essen. Dank diesen „Genesungswochen“, überlebte Heinrich den Winter, sein Vater, Gustav, aber nicht.

1944 konnte Heinrich von Erd- und Waldarbeiten zur Montage wechseln und lernte schweißen. Nach der Eröffnung der „Zweiten Front“ verbesserte sich die Versorgung im Lager. Opa Heinrich hatte überlebt. 1946, nach der Öffnung der Lager, ließ er sich nach Kasachstan überstellen, in die Nähe seiner Mutter und Familie. Doch es dauerte noch weitere zwei Jahre Zwangsarbeit, bis zur wirklichen Familienzusammenführung. Erst Ende 1948 kam die Familie Werle, oder was von ihr übrig blieb, in Bogembaj, einer Arbeitersiedlung im Gebiet Akmola, zusammen. Der 24-Jährige Heinrich wog zu diesem Zeitpunkt weniger als 40 Kilo, konnte nur bestimmte Nahrung zu sich nehmen und hatte ständige Magenschmerzen. Bis 1956 stand die Familie unter der Kommandanturaufsicht und durfte die Siedlung unter Androhung von 25 Jahren Lagerarbeit nicht weiter als drei bis fünf km verlassen.

1961 heiratete Heinrich und arbeitete bis zur Rente 1979 als Schweißer in Kraftwerken. 1996 reiste er mit Frau und Kindern nach Deutschland aus, die Familie wurde dem Kreis Nordfriesland zugewiesen. Opa Heinrich fiel es sehr schwer von seinen Verwandten getrennt zu sein. Er nannte das Verbot für Spätaussiedler den Wohnort in den ersten Jahren frei zu wählen als „zweite Kommandantur“. Bereits nach neun Monaten in Deutschland bekam er einen Schlaganfall und wurde zum Pflegefall. Er starb 2007, ein Jahr vor meiner Geburt. Mama sagt, er hätte mich sehr geliebt…




Nina Sophie Hinsch

Mit Foto von Opa Heinrich Werle

Nina Sophie Hinsch




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