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Irene Hinsch mit Foto von Großmutter Katharine-Elisabeth Fritzler

Katharine-Elisabeth Fritzler (1905-1975)

Geschrieben von Irene Hinsch aus Kellinghusen am .

Katharine-Elisabeth Uhrich kam 1905 im evangelischen Dorf Friedenberg (Samara Gebiet) in einer zehnköpfigen Familie zur Welt. Trotz ihrer Größe war die Familie relativ wohlhabend. Die kleine Kata, wie man sie nannte, besuchte die Dorfschule und hatte für damalige Verhältnisse eine gute Bildung.


Katharine-Elisabeth Fritzler (geb. Uhrich), 1905-1975
Katharine-Elisabeth Fritzler (geb. Uhrich), 1905-1975

Deportiert, repatriiert oder repressiert von:
Friedenberg, Kreis Selmann, Autonome Sozialistische Sowjetrepublik der Wolgadeutschen

Deportiert, repatriiert oder repressiert nach:
Dorf Lwowka, Kreis Dschetygora, Gebiet Kustanai

Nach dem Verlust des Vaters im Ersten Weltkrieg mussten jedoch alle Kinder anpacken. Der Sowjetisierung des Landes stand die junge Frau offen gegenüber, sie arbeitete als Erzieherin im Dorfkindergarten und nahm aktiv am Dorfleben teil. Das Dekret über die Deportation aller Wolgadeutschen traf sie wie ein Schlag ins Gesicht: Sie soll „Spionin und Saboteuren“ sein? Soll sie jetzt alles stehen und liegen lassen und mit leeren Händen ins Unbekannte gehen?

Zum Sammelpunkt durfte man pro Person 20 kg mitnehmen, das meiste Gewicht waren Lebensmittel, jedoch konnten weder Katas 67jährige Mutter, noch ihre 7jährige Tochter die Sachen tragen. Katherine war auf die Hilfe der Familie angewiesen. Beim Einsteigen in den Zug war das noch der Fall, doch bei der Ankunft in Kasachstan zerschlug man die Angehörigen und verteilte die Familien auf unterschiedliche Dörfer.

Katherine kam ins Dorf Lwowka im Gebiet Kustanai. In den zugewiesenen Ställen fehlte es an allem: keine Betten, Tische oder Stühle, aber vor allem kein Ofen und der Winter nahte. Die Einheimische, überwiegend ukrainische Bevölkerung, war am Anfang sehr feindlich gesinnt: aus ihrer Sicht kamen die Faschisten, mit denen ihre Ehemänner und Söhne an der Front kämpften.

Nach der Einquartierung sollten sich alle Erwerbfähigen im Dorfsowjet melden und wurden verschiedenen Bereichen zugewiesen: auf die Felder, in die Stallungen usw. Kata kam in den Kornspeicher. Das war ein Glücksfall, dachte sie: ihre alte Mutter und minderjährige Tochter hatten kein Recht auf Lebensmittelversorgung, Kata war die Einzige Versorgerin. Im Monat standen ihr fünf Kilo Getreide zu: für die ganze Familie! Die Frauen haben Jahrelang kein Brot gesehen. Man kochte „Balanda“: ins heiße Wasser kam Handvoll selbstgemahlenes Mehl, so dass das klare Wasser etwas milchiger wurde. Hinzu kam alles, was der Tag so gab: mal eine erbettelte Kartoffel, mal ein in der Steppe gefundener Pilz, mal vom abgeernteten Feld eingesammelte Ehren, aber meistens Gras oder Kräuter, um die Bäuche zu füllen. Sie versuchte aus dem Kornspeicher das Korn zu stehlen: sie schüttete etwas in die Stiefel, etwas ins Hemd, doch nachdem der Aufseher Wind davon bekam, mussten die „Nemki“, die deutschen Frauen, ihre „Verstecke“ zeigen, bevor sie nach Hause gingen. Die Arbeit in der Kolchose dauerte von morgens früh bis abends spät: Uhren gab es keine. Wenn jemand morgens nicht zur Arbeit kam, kam der Aufseher („Objestschik“) vorbei und jagte die Frauen und Teenager mit der Peitsche aus den Hütten raus.

Die Not war allgegenwertig: es fehlte an Kleidung, Schuhen, geschweige von Wintersachen. In Katas neuem Zuhause hauste noch eine weitere Familie: Eine Frau mit drei Kindern. Später kamen noch weitere sechs Kinder, deren Mutter ins Kindsbett starb, hinzu. Im Stall war es ständig dunkel, kalt und stinkig. Den Ofen heizte man nur ein Mal am Tag – zum Kochen, denn der einzige Brennstoff waren Kuhfladen und Gras (Kurai), was sehr mühsam in der Steppe gesammelt werden musste. Im ersten Winter verkaufte Kata die mitgebrachen Sachen an die Einheimischen für etwas Essbares, doch das reichte nur für kurze Zeit aus. Die Menschen starben an Hunger, Kälte, Krankheiten und Auszehrung, vor allem die Alten und Kinder. Man nahm es als gottgegeben, man ignorierte es: es war ja Krieg, im Krieg wird eben auch gestorben. Wenn es abends noch Kraft gab, sang man aus dem Gesangbuch oder erzählte sich Bibelgeschichten. Wegen der Sprachbarriere hatte man so gut wie keine außerberufliche Verbindung mit der nichtdeutschen Bevölkerung. Kata hatte Glück: sie verhungerte nicht, sondern bekam 1944 Typhus. Da Typhus als Infektionskrankheit für alle gefährlich sein könnte, kam ein LKW mit Sanitätern aus dem Kreis und Kata wurde mit einigen weiteren Frauen ins Kreiskrankenhaus gebracht. Im Krankenhaus gab es drei Mal am Tag etwas zu essen! Etwas, was sie seit Jahren nicht mehr kannte, das gab ihr Kraft und sie kam zu Ihrer Tochter zurück. Man sollte sich jede Woche beim Kommandanten melden, um zu zeigen, dass man nicht geflohen ist.

Im Jahre 1948 durfte Kata und ihre Tochter Lwowka verlassen und wurde mit Begleitpapieren nach Bestobe (Gebiet Akmola) „zur Familienzusammenführung“ geschickt, wo sie bis 1956 weiterhin „unter Kommandantur“ stand. Sie heiratete und lebte mit der Familie bis zum Tod im Exil: die Familie durfte nie in Ihren Heimatort an der Wolga zurückkehren. Mit den Jahren wurde Kata sehr religiös und sehr schweigsam. Nach dem Tod ihres Mannes, wohnte sie bis zum Schluss bei Ihrer Tochter Minna.




Irene Hinsch und Nina Sophie Hinsch

Mit Foto von Großmutter/Urgroßmutter Katharine-Elisabeth Fritzler

Irene Hinsch und Nina Sophie Hinsch




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