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Irene Hinsch und Nina Sophie Hinsch mit Foto von Mutter/Großmutter Minna Werle

Minna Werle (1933-2018)

Geschrieben von Nina Sophie Hinsch aus Kellinghusen am .

Meine Oma Minna war sieben Jahre alt, als Hitlerdeutschland im Juni 1941 die Sowjetunion überfiel. Sie bekam im Sommer einen Ranzen und Bücher und freute sich auf die Schule und auf ihre erste Klasse. Sie wünschte sich, dass es endlich am 1. September losgeht. Doch aus dem Traum von der Schule wurde nichts: stattdessen musste sie ihre Heimat und Freunde verlassen.


Minna Werle (geb. Uhrich), 1933-2018
Minna Werle (geb. Uhrich), 1933-2018

Deportiert, repatriiert oder repressiert von:
Friedenberg, Kreis Selmann, Autonome Sozialistische Sowjetrepublik der Wolgadeutschen

Deportiert, repatriiert oder repressiert nach:
Dorf Lwowka, Kreis Dschetygora, Gebiet Kustanai

In Kasachstan angekommen, war anfangs nicht an Schule zu denken. Sie wohnte zusammen mit weiteren zwei verschleppten Familien in einem Stall. Aber nach den Herbstferien, im November 1941 kam Minna mit einigen weiteren deportierten Kindern endlich in die Schule. Doch die Freude hielt nicht lange an: die Deutschen verstanden kein Wort Russisch, wurden von der Lehrerin ignoriert, von den Mitschülern gehasst. Regelmäßig verprügelte man die „Faschisten“ vor und nach dem Unterricht. Besonders die rothaarige Minna kriegte den Hass zu spüren. Für die einheimischen Kinderwaren die Rothaarigen automatisch „deutsche Monster“. Dazu bekam sie den Spitznamen „Bombe“, da ihr Vorname in russischen Ohren wie „Mine“, der Sprengkörper, klang. Zusammen mit ihrem Stall-Mitbewohner und inzwischen neuen Freund Friedrich prügelte sich Minna mit einigen Mitschülern bis aufs Blut, wenn sie „Faschisten“ genannt wurden.

Als der harte Winter zusetzte, stellte sich heraus, dass die Winterkleidung von der Wolga für kasachische Steppe nicht geeignet war. Die Kinderkonnten nicht mehr in die Schule, weil sie nichts zum Anziehen hatten: zuerst blieb Friedrich zuhause, weil seine Mama starb, danach ging auch Minna nicht mehr in die Schule. Nie mehr.

Im Winter 1942 fing der Hunger an. Minnas schöner roter Mantel wurde für eine Schüssel Kartoffeln eingetauscht. Wenn sie raus musste, trug sie in Abwechslung mit ihrer Oma ihren Mantel. Statt in die Schule, gingen Minna, Friedrich und sein kleiner Bruder Alexander von Haus zu Haus und bettelten: mal bekamen sie etwas zu Essen, mal eine Tracht Prügel. Sie durchforsteten die abgeernteten Felder auf der Suche nach liegengebliebenen Ehren, gefrorenen Kartoffel oder Rüben. Die „Beute“ brachten sie nach Hause und teilten sie mit den anderen Familienangehörigen. Auf dem Rückweg sammelten sie Kuhfladen für den Ofen. Es verging Winter, Sommer und dann kam wieder der Winter. Die drei Freunde waren unzertrennlich, manchmal trauten sie sich in das benachbarte kasachische Dorf, da bekam man, wenn man Glück hatte „Kurt“, eine Frischkäsespezialität, die die Kasachen unter der der Sonne trockneten. Doch das war gefährlich: wenn der Kommandant das mitkriegte, konnte man Prügel bekommen, da man sich nicht weiter als drei Kilometer vom Dorf entfernen durfte. Im Winter 1943 starben Friedrich (10 Jahre) und Alexander (6), sowie deren kleine Schwester bereits davor. Da deren Vater immer noch im Arbeitslager war, kamen die jüngsten Geschwister (5 und 4) ins Heim. Auch Minnas Omi starb. Minna und ihre Mutter überlebten. Das Leben in Lwowka war nicht einfach. Selbst nach dem Krieg war die Not noch sehr groß. Mutter und Tochter arbeiteten zwar in der Kolchose, jedoch bekam man für die Arbeit kein Geld. Umzuziehen oder woanders zu arbeiten, war verboten. Die deportierten Deutschen lernten inzwischen die russische Sprache, aber zur Dorfgesellschaft gehörten sie nicht wirklich. Im Sommer 1949 wurde die 16-Jährige Minna als „feindliches Element“ unter Aufsicht der Kommandantur gestellt.

Erst im Herbst 1949 durfte die Familie das Dorf verlassen und zog in eine Arbeitersiedlung im Gebiet Akmola. Jetzt nannte man Minna „Nina“, ein Name, der auch im russischen vorkommt. Das war der Zeitpunkt, wo sie endlich die Schule nachholen konnte, jedoch hat sie ihre Chance nicht genutzt, weil es ihr peinlich war, mit 16-17 Jahren die Schulbank der Abendschule zu drücken. Diesen Fehler hat sie lebenslang bereut. Nach zwei Jahren als Hausmädchen oder Putzfrau, durfte Minna mit 18 Jahren endlich arbeiten und ihr eigenes Geld verdienen. Wie sie selbst sagte: erst da fing ihr Leben wieder an.

1961 heiratete Oma Minna, bekam Kinder und, weil sie fast 10 Jahre im Bergbau tätig war, ging sie mit 47 Jahren in die Rente. 1996 reiste sie mit Familie nach Deutschland aus. Hier in Deutschland pflegte sie fast 9 Jahre ihren Mann, meinen Opa Heinrich. Ich bin froh meine Omi gekannt zu haben. Daher habe ich meinen Namen: Nina.




Nina Sophie Hinsch und Irene Hinsch

Mit Foto von Großmutter/Mutter Minna Werle

Irene Hinsch und Nina Sophie Hinsch




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